Was ich durch meine Reise gelernt habe // Teil 2 Wertschätzung & Dankbarkeit

Es passiert leicht, dass wir Dinge und Zustände als selbstverständlich hinnehmen. In dem das Außergewöhnliche in die Alltagsroutine integriert wird geschieht es häufig, dass es den Zustand des Gewöhnlichen annimmt. War schon immer da, wird immer da sein. Das gilt für materielle Dinge wie Geschenke oder Neuanschaffungen, für Geistiges wie Beziehungen, Freundschaften oder der Beruf, aber auch für alles, das im größeren Rahmen existiert und sich häufig über unsere unmittelbare Wahrnehmung hinwegsetzt. Auf diesen größeren Rahmen möchte ich gerne näher eingehen, da mir meine Reise zeigte, wie wenig selbstverständlich so vieles, wie unbezahlbar es wirklich ist.

In meiner dreimonatigen Reise durch Südostasien habe ich viel Schönes gesehen. Beeindruckende Tempel, wunderschöne Natur, faszinierende Straßenmärkte und viel gutes Essen. Ebenfalls sind mir jedoch auch die unschönen Seiten aufgefallen, welche sich besonders retroperspektivisch als weitaus zahlreicher entpuppten. Viele Menschen sind sehr arm, leben in Behausungen mit improvisierten Dächern, ernähren sich vom täglichen Verdienst ohne auf Ersparnisse oder Sicherheiten zurückgreifen zu können und sind auf Spenden oder Touristen angewiesen. Es ist nicht nur die materielle Armut, welche mich beschäftigt, sondern auch die anderen Aspekte. Drei davon wären Bildung, Gesundheit und Zeit. In Südostasien blicken wir auf eine Anzahl von Länder zurück, in welchen noch vor 50 Jahren der Hauptteil (über 90%) aller Menschen Bauern und Farmer waren. Wir können an die zahlreichen politischen Konflikte denken, bspw. die illegale und völkerrechtswidrige von (medial bei uns als Helden gefeierten) Henry Kissinger angeordnete Bombardierung von Laos und Kambodscha, der Vietnamkrieg oder der aktuelle militärische Putsch in Myanmar. Zusammengefasst sehen wir Länder, welche in ihrem Fortschritt bei weitem nicht mit den westlichen Ländern verglichen werden können. Toiletten sind oft Löcher in Böden, der Smok auf den Straßen (besonders Hanoi und Ho Chi Minh City) ist fatal, Hygiene, zum Beispiel in Bezug auf Lebensmittel ist ein Fremdwort, die Arbeitszeiten liegen häufig bei 12-16 Stunden, der Verdienst ist jedoch nur minimal, Freizeit gibt es häufig nicht, bestenfalls für wenige Stunden und auch wenn sie aktuell (zum Beispiel an einem Verkaufsstand) keine Beschäftigung haben, hindert sie die potentielle Aussicht auf einen Kunden daran sich wirklich mit etwas anderem (außer dem Smartphone) zu beschäftigen, Englisch wird weiterhin nur von wenigen gesprochen, die Kommunikation ist zumeist auf wenige Worte beschränkt und auch sonst ist weder ein hohes Maß an Allgemeinbildung vorhanden, noch haben die Menschen einen mentalen Schutz gegen diverse Fremdeinflüsse, welche doch als sirenengleich beschrieben werden können in ihrer Versuchung, Sucht und destruktiven Wirkung (soziale Medien) und auch die Chance eine Schule zu besuchen ist für viele Kinder nicht gegeben.

Wertschätzung

Diese und zahlreiche weitere Punkte wollte ich nicht primär aufzählen, um auf die Schwierigkeiten in fernen Ländern hinzuweisen. Viele werden dies wahrscheinlich schon wissen. Mit dieser kleinen Zusammenfassung verschiedener Erfahrungsberichte (welche noch oft erweitert werden können) wollte ich vor allem den Kontrast zwischen dieser und unserer Welt vor Auge führen. Selbstverständlich gibt es auch in Deutschland Armut, viele Probleme, Krisen etc., doch wurde mit dem Beginn der industriellen Revolution vor über 200 Jahren ein Grundstein für unsere Gegenwart geschaffen, welcher nicht von der Hand zu weisen ist. Dieses Fundament und die fortwährende Entwicklung sind mit die Ursache für den materiellen Wohlstand, in dem wir uns befinden. Da wären unter anderem die bismarckschen Sozialgesetze wie Unfallversicherung, Krankenversicherung etc., Hygienestandards in der Lebensmittelproduktion, Straßen und öffentliche Transportmittel oder unsere Bildung. Nimmt man die (zurecht) aufgesetzte Brille der dauerhaften Kritik gegenüber Deutschland einmal ab, sollte klar zu erkennen sein, welch Glück wir doch eigentlich haben in diesem Land zu leben.

Wir leben in einer Protestgesellschaft. Das Schulsystem wird kritisiert, die Politik, Lebensmittelpreise und Heizkosten, sowie andere Thematiken und obwohl diese Kritikpunkte ihre absolute Berechtigung haben, ja wichtig sind, (meine anderen Blogbeiträge sind gute Beispiele dafür, wie oft und gerne ich kritisiere) sollte gesagt werden, dass das Niveau dieser Beanstandungen doch ein sehr hohes ist. Der Tadel ist angebracht, muss sein und doch geschieht er von einem sehr hohen Ross. Wirkliche Armut, Hungersnot oder Leid müssen die wenigsten hier ertragen. Wie ich weiter oben bereits angedeutet habe, geht der Verlust der Wertschätzung und Dankbarkeit häufig mit Gewöhnung einher. Privilegien werden als selbstverständlich angesehen und so wird sich auf neue Themen gestürzt, die entweder im eigenen Leben oder in der Gesellschaft kritisiert werden können.

Man kann die vermutlich nahe der Wahrheit liegende These aufstellen, dass Luxus, Wohlstand, das Ausbleiben wirklicher existenzieller Gefahren mit einer Verkümmerung der Spiritualität einhergeht. Wertschätzung und Achtsamkeit gehen langsam verloren, wir werden blind für das eigentlich Offensichtliche. Für mich war diese Reise nach Südostasien eine wertvolle Erfahrung, da ich so, durch das Distanzieren der eigenen Heimat erkennen konnte, wie gut ich es doch eigentlich habe. Dankbarkeit ist ein Prozess, nicht in wenigen Stunden oder Tagen kann erkannt werden, mit welchen Geschenken man gesegnet ist, doch ist es leicht, diesen anzuregen, indem man anfängt, die Dinge einmal mit fremdem Blick zu betrachten. Vielleicht ist eine Reise, ein Wechsel der gewohnten Gefilde notwendig, um diese Perspektive zu erlangen.

Dankbarkeit + Verpflichtung?

Beschäftigen wir uns also noch einmal mit unserer Perspektive (Abweichungen bestätigen die Regel, die Tendenz besteht jedoch weiter). Wir leben in einem reichen Land, haben ein Dach über dem Kopf, genug Geld für Lebensmittel, Medizin, Kleidung, sowie für zusätzliche Dinge wie Unterhaltung, Rausch und Luxus. Ebenfalls besitzen wir den drittbesten Pass der Welt, können in nahezu jedes Land reisen, haben eine vergleichsweise geringe Kriminalitätsrate, eine (zumindest auf dem Papier) demokratische Regierung und die bereits erwähnten bismarckschen Sozialgesetze.

Dazu gesellt sich ebenfalls, was noch viel wichtiger ist, ein gesunder Körper (zumindest beim prozentualen Großteil). Es kann nicht oft genug wiederholt werden, wie unglaublich es eigentlich ist, über einen Körper zu verfügen, wie wir es tun. Jeder, der einmal schwer oder auch nur leicht erkrankt war, kann bestätigen, wie wertvoll volle körperliche oder mentale Gesundheit ist. Lernen ist wohl die wichtigste und bedeutungsvollste Fähigkeit des Menschen. Egal ob durch Kommunikation, Spiegelung oder das Lesen von Büchern oder Training, es gibt kaum etwas, das wir nicht erlernen können. Die Möglichkeiten sind nahezu grenzenlos. Nun stellt sich die Frage. Sind wir diesen vielen Privilegien in Kombination mit diesem unglaublichen Körper nicht etwas schuldig? Sind wir es nicht auch uns schuldig?

Wenn ich von Verpflichtung schreibe, meine ich damit keinen Zwang oder Druck im herkömmlichen Sinne. Es ist nicht der richtige Weg, etwas forcieren zu wollen, das tiefen Herzens nicht der richtige Weg zu sein scheint. So ist auch Potenzialentfaltung ein zweischneidiges Schwert, wenn aus Spaß und Leidenschaft Zwang wird. Da ist das Bild des geplagten Ballettschülers oder dem musikalischen Wunderkind ein gutes. Wir sollten nach unserem Höchsten zu streben versuchen, doch hat jeder seine eigene Definition davon, jeder seinen eigenen Weg. Wenn ich also von Verpflichtung schreibe, meine ich das Aufbauen einer Resilienz, einen gewissen Respekt vor uns selbst. Unsere Welt ist reich an Verlockungen, Parasiten versuchen sich in uns einzunisten, soziale Medien, Alkohol, Zigaretten, Zucker, Fett, Faulheit, Unterhaltungsmedien, Süchte, die uns bei Überfluss langsam oder schnell zerstören können, wenn nicht gelernt wird, sie zu kontrollieren. Leicht geschieht es, dass wir uns von ihnen verleiten lassen und damit unseren Körper und Geist, unser Höchstes vernachlässigen.

Jeder hat bzw. sollte es selbst in der Hand haben, über sein Schicksal entscheiden zu dürfen, aber sollte man sich nicht von Zeit zu Zeit vergewissern, welches Privileg, welche Chance wir besitzen und überlegen, wie diese genutzt werden kann? Die Realität ist, dass die wenigsten Menschen auf diesem Planeten wirklich Herr ihres Schicksals, eher Diener ihrer Umstände sind. Wäre es also nicht schön, wenn wir versuchen würden etwas aus unserem Glück zu machen?

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