Endlos scheint die Uhr zu ticken, während der stürmische Regen wie kleine Blitze draußen gegen die Fenster schlägt. Es ist Sonntag. Kein Sonntag voller Aktivitäten, geplant mit Freunden oder Familie. Kein sonnenbestrahlter Tag, der zum entdecken einlädt. Nur ein Sonntag, der scheinbar klein und unbedeutend das letzte Kapitel der Woche abschließt. Der sich nicht aufspielt und große Reden schwingt von Aktionen, die den Tag zum größten der Woche, zum krönenden Abschluss werden lassen soll. Nur eben das leise Finale von der Hast der Woche und der Beginn von etwas Ruhe. Nach all der Tätigkeit lädt er dich ein zu etwas Untätigkeit, ohne zu fordern, ohne zu wollen. Und so räumt er dir das Recht auf Langeweile ein. Das dir zusteht. Das von Zeit zu Zeit notwendig ist. Zur Regeneration, zum Müßiggang und letzten Endes auch zur Muße.
Nun steht er also vor dir, der Tag der Tatenlosigkeit, doch begegnet wird ihm mit leichtem Frust, manchmal Verzweiflung, von Zeit zu Zeit auch Druck. Langeweile? Was ist das? Ätzend, beschwerlich, wie Folter so will man stöhnen. Wo doch eigentlich so viel zu tun ist. Man könnte den Wochenputz glänzend zu Ende bringen, für die Prüfung lernen oder wichtigen Dokumente für die kommende Steuererklärung ordnen. So entsteht eine Forderung im Geiste, die Ergebnisse verlangt, sichtbare Erfolge. Die Rastlosigkeit des Geistes bei paralleler körperlicher Untätigkeit endet in einem Kompromissversuch. Langeweile ist unangenehm, fast schon anstrengend. Forcierte Tätigkeit oft frustrierend, manchmal sogar destruktiv.
Der Kompromiss wird jedoch schnell gefunden und schafft es eine Balance zu schaffen zwischen der Ausblendung geistigen Druckes und körperlicher Erholung. Er findet sich in den digitalen Medien.
Nach nur wenigen Sekunden der Tatenlosigkeit vergangen beginnt der Geist nach neuer Befriedigung zu gelüsten. Instagram, Tik Tok oder eben Youtube. Kaum scheint sich ein leichtes Gefühl der Langeweile anzubahnen, wird sich dem entgegengestellt. Es wird nach dem Handy gegriffen, das erstaunt, begeistert und Glücksgefühle wie Unkraut aus dem Boden schießen lässt. „Endless-Scrolling“ nennt sich die Methode um den Konsumenten im Bann zu halten. Es gibt kein Ende der Sensation, die sich vor deinem 7 Zoll Bildschirm auftut. Im Sekundentakt schwirren die schnellgeschnittenen Videos wie ein Feuerwerk der Reize am Augenlicht des Zuschauers entlang. „Tik-Tok Reels“, Youtube-Shorts“ egal wie sie sich bezeichnen. Unendlicher Spaß.
So wird die Flucht vor der Langeweile in Stufen aufgeteilt, in denen Social- Media Videos zur Königsdisziplin des medialen Konsums aufsteigt. „Erholung“ wird darauf in Form von Netflix, Disney + oder Videospielen gesucht. Weiterhin wird die Untätigkeit ausgeblendet und mit Verhandlungsversuchen zwischen den beiden Welten ersetzt.
Denn Untätigkeit ist nicht das Problem, sondern die Angst vor der Langeweile. Die Furcht vor eigenen Gedanken, vor der Tatenlosigkeit. Und daher soll dieser Beitrag als Appell dienen, der fordert, was im Leben aller Altersgruppen, besonders bei Kindern und Jugendlichen immer weniger verfügbar ist und dabei so wichtig ist. Das Recht auf Langeweile!
Arten der Langeweile
Zunächst einmal sei unterschieden zwischen den unterschiedlichen Arten der Langeweile. Von der, die nicht zu Unrecht als eine der größten Dämonen des Menschen gilt und von der, welche fruchtbarer Natur ist und Schöpfergeist hervorbringt.
Die Tücke der Tatenlosigkeit ist oben bereits beschrieben worden. Es sind Momente der Orientierungslosigkeit, welche die aktive Tätigkeit hemmt und Motivation im Zaum hält. Dieser Zustand wird schnell mit stupider Beschäftigung bekämpft. Smartphones, Fernsehen, Alkohol oder Essen. Es werden Drogen gesucht, die ein schnelles Glücksgefühl erzeugen und das Belohnungszentrum im Hirn ansprechen. Dieser Zustand wird dann bis zur Erschöpfung vom Nichts-tun beigehalten. Diese Art der Langeweile ist destruktiv, schädigend und sehr wohl eine schlimme Plage des im Überfluss lebenden Menschen.
Doch Langeweile will gelernt sein und kann im Gegensatz zu den keimerstickenden Zeitfressern richtig angewendet ein Ort voller Muße sein, in dem Kreativität wie die Knospen an wohlgenährten Pflanzen sprießen kann. Dann wandelt sich das hässliche Entlein genannt „Langeweile“ in den wunderschönen Schwan „Inspiration“. Warum das so ist möchte ich im nachfolgenden Absatz erläutern.
Langeweile als Zustand der Inspiration
Langeweile! Du bist Mutter der Musen.
Johann Wolfgang von Goethe, Schriftsteller und Naturforscher (1749-1832),
Der moderne Mensch ist gefangen in einen teils selbst auferlegten, teils gesellschaftlich forcierten Lebensstil, der wenig Platz für die Entfaltung von Ideen, Gedankenspiele oder Experimente übrighat. Die 8-stündige Arbeit von Montag- Freitag ist häufig begleitet von Routinehandlungen und Zeitüberbrückungsmaßnahmen, welchen kein höherer Sinn zugewiesen werden kann. Nach dem Ende des Arbeitstages wird die restliche kontinuierlich schwindende Energie in Konsuminhalte gesteckt, die schon im Wortlaut von rein passiver Natur sind. Statt einer schöpferischen Tätigkeit wird die Zeit also für die Aufnahme vieler verschiedener Eindrücke verwendet. Der Grund dafür ist vielzählig. So ist das Produzieren eigener Gedanken ein Prozess, der nicht in energielosem Zustand vollbracht werden kann. Es bedarf ein gewisses Maß an geistiger und körperlicher Frische, um wirklich kreativ zu sein. Dieses Level ist schwer zu erreichen, wenn mehr als die Hälfte des Tages für eine erschöpfende Tätigkeit verschwendet wird. So ist es egal, ob die Arbeit monoton oder kräftezerrend ist. Beides ist für Körper und Geist schwächend, da keine Balance gefunden wird. Das Gleiche gilt für die konsumierende Tätigkeit. In ihr liegt eine Art der Geistesabwesenheit, welche bei fortschreitender Dauer kräftezerrend wirken kann. Dauerhafte Reize überschreiten die Wahrnehmungskapazitäten des Gehirns mit der Zeit und so verhält sich der Stimulus interdependent mit dem Rezipienten. Es wird ein simulierter Reiz erzeugt, der bei konstanter Aufrechterhaltung einen erschöpften Körper und Geist hinterlässt, da der Mensch für eine dauerhafte Reizwahrnehmung nicht geschaffen ist. Es tritt eine Überforderung ein, die sich im Energielevel des Beobachters widerspiegelt.
Nun tritt die Langeweile ans Tageslicht. Das Gefühl von Langeweile kann nur entstehen, wenn genug Zeit vorhanden und sie nicht zu vollster Zufriedenheit genutzt werden kann. Doch die vorhandene Zeit öffnet auch Räume für Inspiration und Muße. Denn was bei vielen einen Zustand der Frustration auslöst kann richtig gelernt von höchst produktiver Natur sein. Wer sich langweilt sucht bewusst nach neuen Reizen, mit denen er sich beschäftigen kann. Diese Reize können unter anderem durch Beobachtung oder Nachdenken erzeugt werden. Der libanesische Dichter und Philosoph Khalil Gibran sagte dazu: „Man muss durch die Natur wandern, wenn man die Morgenröte sehen will.“ Die Natur dient uns als unendliche Quelle der Inspiration, sie muss nur wahrgenommen werden. Im achtsamen Moment entstehen so nahrhafte Eindrücke, die neue Gedanken anregen kann. Viele große Ideen der Menschheit entstanden aus einem Gefühl der Langeweile heraus. Dort war man nicht auf die gezwungene Produktion von Gedanken angewiesen und konnte so seinem Geist freien Lauf lassen. Die Phantasie wurde durch kleine Beobachtungen angeregt und unbewusst immer weiter ausgeschmückt, bis daraus ein neuer Gedanke, ein neuer Vers oder die richtige Lösung entstanden ist. Ein passendes Bild dazu ist das des Isaac Newton, welcher unter dem Apfelbaum durch einen fallenden Apfel das Gesetz der Schwerkraft entdeckte.
Mehr Langeweile wagen
Glück ist ein Schmetterling, der sich immer unserem Griff entzieht, wenn man ihn jagt, der sich aber auf uns niederlässt, wenn wir ganz still dasitzen.“
Nathaniel Hawthorne, US-amerikanischer Schriftsteller (1804 – 1864)
Daher ist der Trend der Massenmedien mit so skeptischem Blick zu betrachten. Wer dauernd beschäftigt ist und sich bewusst versucht von der Langeweile abzulenken kann nicht mehr denken. Er verlernt die Fähigkeit sich selbst wirklich mit einer Sache zu beschäftigen und neigt dazu alles so zu akzeptieren wie es kommt. So wird er durch den dauerhaften Konsum zur leicht lenkbaren Marionette, welcher nur noch akzeptiert, nicht mehr hinterfragt und damit anfällig wird für jedwede Art Ideologie.
Langeweile, Müßiggang, Pause oder Ruhe ist notwendig, um wahrhaftige Schönheit betrachten zu können. Kontemplation ist das Stichwort, welches ein sinnerfülltes Leben, ja die Wahrnehmung von Sinnhaftigkeit erst möglich werden lässt. Ablenkung lässt keine Reflexion zu. Wie schon im Wortlaut lenkt sie dich von den wahrhaft relevanten Themen ab und „schützt“ dich vor den eigenen Gedanken. Und selbstverständlich ist Ablenkung wichtig und Unterhaltung ein Gut der Erholung, welches ebenfalls nicht vernachlässigt werden darf, doch in dauerhafter Manier verhält es sich destruktiv und beschränkt den Tag auf Fremdeindrücken, welche filterlos aufgesogen werden bis der Kopf, das Herz und die Seele voll davon sind.
Daher ein Appell für das Recht auf Langeweile. Lasst uns nicht versuchen all die Ruhemomente mit zügellosem Konsum zu überstrahlen. Lasst uns Langeweile nicht als potentieller Ort der Gefahr ansehen, welcher schnellstmöglich verlassen werden muss. Lasst sie uns als Chance betrachten. Eine Chance für Inspiration, Kreativität und Muße.
Dann enthüllt sich der langgeglaubte Dämon bis an seiner Stelle ein Engel erscheint.
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