Ein schüchterner Tautropfen bewegt sich langsam zur Spitze des im frühlingshaften Grün erstrahlenden Blattes auf und macht den Anschein, dieses verlassen zu wollen. Ganz langsam und zaghaft geht er über den Rand, bleibt kurz in Unsicherheit verharren und begegnet sogleich in raschem Fall dem Boden, um sich auf zu einem neuen Abenteuer zu machen. Mit hektischen Blicken schaut das kleine Eichhörnchen von links nach rechts, bevor es mit Eleganz und Geschwindigkeit den Baum besteigt, von Wipfel zu Wipfel springt und den Eindruck vermacht es würde fliegen. Voller Staunen wird der Blick nach oben geworfen, um das Himmelschauspiel beobachten zu können, dass sich im Moment zwischen Sonne und Wolken abspiegelt. Die feinen fast schon verdunsteten, wie kleine weise Flecken aussehenden Wolken verschmelzen mit der in gelblich-rötlichen Tönen untergehenden Sonne und hinterlassen ein Spektakel am Himmel. Fein schattiert scheinen die Wolken sich zu einem immer schönerem Orange aufzureihen, je näher sie zur Sonne stehen und so ein schachbrettartiges, durch fein definierte Sonnenstrahlen untermaltes Muster darzustellen, welches als Sinnbild einer allumgebenden Wärme gesehen werden kann.
So wird die Welt gesehen und begeistert im Detail beobachtet. Mit den Augen eines Kindes. Sie strahlen im Glanz der Sonnenstrahlen und dienen als direktes Tor zur Seele. Sie leuchten weit aufgerissen und versprühen Ekstase, Faszination und Neugierde. In diesem hellen Licht ist die gesamte Schönheit der Welt zu erkennen. Es ist ein Licht voller Wärme und Energie, dass direkt aus dem Herzen kommt und die Sprache der Wahrheit spricht. Es zeigt sich unmaskiert seiner Umwelt und geht so eine Symbiose mit ihr ein. Wie ein Schneeglöckchen das sich zögernd und dann mit ganzer Hingebung von der weißen Schneematte erhebt und so den Frühling einläuten lässt, symbolisiert dieses Licht, das Strahlen im Auge eines Kindes Unschuld. Es lässt uns Zeuge einer Reinheit und Magie werden, die so nur selten zu erleben ist. Es kann uns Dimensionen aufzeigen, die einst für uns zugänglich, nun verschlossen sind. Einen anderen Lehrmeister benötigen wir nicht. Mehr Weisheit gibt es nicht als das Funkeln im Auge eines Kindes. Dort ist alles vorhanden.
So möchte ich mit diesem Beitrag an eine Rückerinnerung appellieren. Zurück zum Wesen des Kindes. Zurück zu Leichtigkeit, Faszination und Neugierde
„Erwachsen“ sein
Ab einem gewissen Alter wird von uns erwartet der Kindheit Lebwohl zu sagen und sich auf den „Ernst des Lebens“ vorzubereiten. Vorbei ist die Zeit der Unschuld und Leichtigkeit. Vorbei die Zeit der Sorglosigkeit. Des Lebens in der Gegenwart. Nun muss stehts in Richtung Zukunft geblickt werden. Freiheit weicht der Sicherheit, welche einen festen Beruf, Heiratsaussichten und den Hauskauf erwartet. Rücklagen für „schwierige Zeiten“ werden geschaffen und es wird in etliche Fonds, Versicherungen und Verträge eingezahlt. Mit dem festen Arbeitsvertrag reduzieren sich die Visionen des Lebens auf die der Karriere. Aufstiegsmöglichkeiten, ein höheres Gehalt, ein Firmenwagen. Dies sind die neuen erstrebenswerten Dinge, die den Platz der kindlichen Träume eingenommen haben. Träume überhaupt sollen aufgegeben werden und der Realität weichen. „Natürlich wäre ich gern…(beliebiges einfügen), aber so läuft das Leben eben nicht. Manchmal muss man auch einfach in den sauren Apfel beißen. Vielleicht erfüllt mir der Beruf nicht mit Zufriedenheit und Sinn, aber er bringt das Essen auf den Tisch und zahlt in meine Rentenkasse! Das Leben ist eben kein Wunschkonzert!“ Wird dann abends bei der Rückkehr ins Bett frustriert vor sich hingemurmelt. Und so werden die Gedanken vom ehemals Großen ins Kleine verdrängt. Das Wochenende gilt als höchstes Ziel, welchem sehnsüchtig entgegengeblickt wird. Die Frustration am Arbeitsplatz nimmt mit dem morgendlichen Kaffee den ersten Verdrängungsversuch wahr („Ohne Kaffee funktioniere ich halt einfach nicht“) und schafft es spätestens mit dem Feierabendbier und dem abendlichen Fernsehprogramm, wahlweise gerne Netflix oder Ähnliches für den Rest des Tages vergessen zu werden.
Erwachsen sein. Wenn die Euphorie des Lebens reduziert wird auf das Treffen eines Bekannten beim morgendlichen Gassi-Gehen („Ah grüß Gott Roland, wie geht’s denn so? Was macht die Frau?“ „Aaach alles gut, es ist eben, wie es ist nicht? Es soll bald wieder zu regnen anfangen, nicht?“ „Ja ich kanns spüren, davor muss ich noch die Dachrinne reinigen. Ach Roland, ich habs eilig. Grüß mir doch die Brigitte, ja?“)
Erwachsen sein. Wenn unsere Entdeckerlust und Neugierde auf den einmal im Jahr stattfindenden Urlaub in Süditalien beschränkt wird und der Vergleich der günstigsten Hotels der spannendste Teil der Reise ist.
Erwachsen sein. Wenn die glänzenden Augen nicht durch Begeisterung entstehen, sondern durch die wachsbezogene Maske, welche sich über das Gesicht gelegt hat. Wenn soziale Interaktion einem Theaterspiel weicht, in dem es die Rolle des Anderen zu übertreffen gilt.
Was wir von Kindern lernen können
Die Kindheit ist der immerwährende Messias, der in die Arme der gefallenen Menschen kommt und sie anfleht, in das Paradies zurückzukehren.
Ralph W. Emerson
Das Großwerden ist verbunden mit einem Abkopplungsprozess vom ursprünglichen Wesen des Menschen. Während unserer Entwicklung eignen wir uns fortwährend Muster, Rollen und Mechanismen an, die die eigentliche Natur des Menschen verfälschen. Von der ursprünglichen Natürlichkeit, welche wir bei Kindern bis zu einem gewissen Alter beobachten können ist nach wenigen Jahren nur noch wenig vorhanden und mit stetigem „Wachstum“ scheint es immer weniger zu werden. Das Wachstum entpuppt sich immer mehr als Entfremdung der Natur und erschafft eine Silhouette in die wir uns begeben, welche wir „Erwachsen-Sein“ nennen.
1. Glücklich sein
Das Glück eines Kindes stellt keine Bedingungen und fordert nichts. Es will nur sein. Nichts weiter. Ein Kinderlachen zeigt uns Reinheit und Freude in seiner ehrlichsten Art. Keine versteckten Botschaften, keine verdrängten Sorgen und keine Heuchelei. Häufig ist das Glück eines Erwachsenen mit einem Anspruch verbunden, den er versucht zu erfüllen. Was als Glück beschrieben wird ist viel mehr die Erfüllung eines Ziels und das kurze Ausstrahlen von Dopamin im Belohnungszentrum unseres Gehirns. Daher verläuft sich das Streben nach Glück bei einem Großteil aller Erwachsenen in der erneuten Ausschüttung diverser Glückshormone wie das eben genannte Dopamin, sowie unter anderem Serotonin und Adrenalin. Diese Art von Glück kann nicht von langer Dauer sein und ist meist nach einem kurzen starken Erleben wieder vergangen. Häufig ist das Nacherleben sogar mit einem mangelnden Gefühl der Befriedigung verbunden.
Doch Kinder besitzen keine bewusste Intention in ihrem Empfinden von Glück. Ihr Glücksempfinden ist ein aktives Wechselspiel von Ursache und Wirkung. Keine Wände, Fassaden oder Hintergedanken blockieren ihre Reaktion. Das macht sie so natürlich und rein.
2. Das achtsame Wahrnehmen der Welt um sich herum
Für ein Kind beinhaltet jeder Tag, jede Stunde eine neue Entdeckung. Für sie ist die Welt noch fremd und von einem dichten Nebelschleier umhüllt. So wird mit jedem neuen Erlebnis ihre Sicht ein wenig klarer, was sie in euphorischer Faszination zu zelebrieren wissen. Jedes Lebewesen, jeder Geschmack, Musik, Farben. Das Alles wird in einer neugierigen Begeisterung aufgenommen. Während des Heranwachsens wird diese Begeisterung aus diversen Gründen immer weniger. Sie weicht einer eingespielten Alltagsroutine, deren Geheimnisse alle längst entdeckt und die Wunder alle schon einmal erlebt worden sind. So wird es angenommen.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Unser Gedächtnis speichert das wahrgenommene Gefühl einer Erfahrung, um sie bei erneutem Erleben erneut abrufen zu können. Was es jedoch nicht kann ist das Gefühl eines Sinnes auf detaillierte Weise zu speichern. Daher bleibt jeder Apfel, jeder Sonnenuntergang, jedes Vogelzwitschern und jeder Tulpenduft von besonderer Bedeutung und einzigartig. Die Magie des Wahrnehmens besteht nur im Augenblick. Wir müssen sie nur erkennen und wertschätzen. So wie ein Kind erleben wir eine Empfindung vielleicht nicht zum ersten Mal, aber doch immer wieder aufs Neue, als wäre sie nie geschehen.
3. Ehrlichkeit
Blicken wir in das Gesicht eines Kindes sehen wir keine Maske. Wir sehen keinen Vorhang, der um die eigene Persönlichkeit gezogen wurde. Wir sehen das Kind wie es ist. Im Laufe unserer Sozialisation eignen wir uns Rollen an, die in unterschiedlichen Situationen gespielt werden. So dient das Leben als Bühnenspiel, welches sich dem Gegenüber anpasst und nur insoweit eigene Persönlichkeit ans Licht bringt, wie es gesellschaftlich und sozial akzeptiert wird. Die Problematik des Schauspieles ist nämlich, dass beide Parteien ein Teil davon sind. So kann bereits im Vorhinein prognostiziert werden, bis zu welchem Rahmen ein Gespräch laufen wird. Die Kommunikation mit Arbeitskollegen, Nachbarn oder spontane Straßenbegegnungen wird nie den Bereich des Small-Talks verlassen und in höhere Sphären des miteinander sein aufsteigen. Wenn dem doch so ist bedarf es dem Zufall oder der herausstechenden Persönlichkeit einer der zwei Gesprächsparteien. Sonst bleibt es flüchtig und gespielt.
Kinder sprechen jedoch bis zu einem bestimmten Alter nicht mit gespaltener Zunge. Das Stellen einer Frage geschieht aus Interesse, nicht aus dem Versuch heraus jemanden zu durchschauen. Ihre Emotionen sind klar und ehrlich, nicht gespielt. Es geht ihnen nicht um Manipulation, sondern um die direkte Erfüllung ihrer Bedürfnisse.
Das Flüchten in soziale Rollen sowie das Lügen geschieht häufig aus Gründen der Angst und Unsicherheit vor „Entlarvung“. Die Entlarvung und Bewertung der eigenen Persönlichkeit. Jedoch kann eine zwischenmenschliche Beziehung nicht durch Lügen und Intrigen gedeihen. Wie eine Blume, die von vergiftetem Wasser genährt wird geht sie irgendwann ein. Ehrlichkeit ist Stärke und Selbstvertrauen.
4. Nonkonformismus und das Vertrauen in die eigene Persönlichkeit
Ein Kind passt sich nur äußerst unfreiwillig an. Es hat einen klaren Kopf und weiß was es will oder braucht. Viele Eltern haben sicher bereits die Erfahrung gemacht, wie frustrierend das Schreien und Weinen eines Kindes sein kann. Häufig ist es eine Mischung aus Überforderung, Verwirrung und Verzweiflung die sich in ihren Köpfen breitmacht. „Warum schreist du? Was willst du? Kannst du nicht endlich mal still sein?!“ Kleinkinder richten sie aber nicht nach den Wünschen ihrer Eltern, sondern nach der Erfüllung ihrer Bedürfnisse. Dies kann ernüchternd sein, ist aber auch ein Beweis charakterlicher Stärke und eine Inspiration für unser weiteres Leben. Im Laufe der Entwicklung lernen Kinder sich anzupassen und mildern ihren Drang nach Bedürfnisbefriedigung etwas bleiben jedoch bestimmt in ihrem Handeln und haben häufig die Oberhand gegen ihre Eltern. Der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Ralph W. Emerson beschrieb sehr gut in einem Satz, welche Wirkung das kindliche selbstbestimmte Handeln für sein Umfeld hat. „Kindheit passt sich niemanden an; alle passen sich ihr an, so dass ein Säugling gewöhnlich vier oder fünf Säuglinge aus den Erwachsenen macht, die mit ihm plappern und spielen“
Dieser Effekt bleibt auch bei Erwachsenen bestehen, welche sie durch ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit und Selbstvertrauen auszeichnen. Sie sind häufig Führungspersönlichkeiten, Autoritätspersonen oder zumindest Menschen, zu denen gerne aufgesehen wird. Sie inspirieren und begeistern mit ihrem überzeugenden Auftreten und schaffen es dadurch ihr Ziel zu erreichen.
5. Das Spiel und die Lust am Lernen
Kinder erkunden die Welt. Sind neugierig, beeindruckt und wissbegierig darauf Neues zu erfahren. Und alle sind sie spielerisch. Sie müssen sich nicht zwingen oder fordern. Sie brauchen keine Intention und Begründung für ihren Drang nach Wissen. Sie machen es einfach. All das geschieht auf eine Weise, die fern von negativen Gefühlen ist. Für sie ist Lernen keine Tortur oder Qual. Für sie ist Lernen das spannendste, unterhaltsamste und interessanteste der Welt. Zudem ist es allgegenwärtig. Ihre gesamte Welt ist ein riesiger Spielball den sie nach belieben so lange werfen wie sie möchten. Unbewusst wissen sie ganz genau, dass sie immer und zu jeder Zeit lernen. Es gibt keine verschwendete Zeit.
Die Fähigkeit des spielerischen Lernens ist im Erwachsenenalter häufig betäubt. Dies liegt vor allem an diversen Institutionen, von denen die Schule den stärksten Einfluss hat. In ihr wird die Lust am Lernen gegen Zwang und Gehorsamkeit eingetauscht. Dieser Prozess des „gezähmt werden“ ist ein langwieriger und so ist es ebenso schwer sie von dieser „Schulung“ wieder zu befreien. Das ist der Grund weshalb viele Menschen nicht gerne lernen. Nicht gerne lesen. Nicht gerne über Tiefsinniges nachdenken. Sie verbinden damit das negative Gefühl von Zwang.
Daher ist es wichtig das Spiel eines Kindes zu beobachten. Dort kann erfahren werden, wie großartig das lernen doch sein kann und wie leicht es sein kann dieses unterhaltsam zu gestalten. Wenn man nur möchte.
Die Weisheit der Jugend
Daher kann abschließend gesagt werden, dass es ein Trugschluss ist, wenn behauptet wird, dass wir nichts von Kindern lernen können. Im Gegenteil! Häufig können sie uns mehr beibringen, als wir ihnen. Das liegt am Abkopplungsprozess unserer ursprünglichen Natur, welcher sich mit den Jahren immer mehr bemerkbar macht. Je weiter wir uns vom Ursprung unseres Seins entfernen, desto fremder werden wir ihm. Kindheit ist Weisheit und sollte aufmerksam betrachtet werden. Wer nach erfüllenden Antworten Ausschau hält, sucht häufig vergebens in den vergilbten Schriften alter Weisen, wenn er diese nicht auf reale Begebenheiten und Beobachtungen überträgt.
Schrift und Worte liefern uns einen Schatz von Weisheit und Schönheit, doch der Schlüssel zu diesem liegt in den strahlenden Augen eines Kindes.
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