Ein kleiner Junge kommt von einem anstrengenden Tag aus der Schule nachhause. Erschöpft tritt er zur Tür hinein und lässt damit die Außenwelt hinter sich zurück. Die Schule, welche er täglich fürs eigene Verblassen besuchen muss, löscht er aus seinem Erinnerungsspeicher. Ständig unter Beobachtung, unter dem Druck von Lehrern, den Blicken der Mitschüler und dem bösen Grinsen der Schullektüre. Diese lächelt höhnisch nach ihm, giert nach dem letzten Funken an Aufmerksamkeit den er entbehren kann, entbehren muss. Der Lehrstoff, welcher seine Seele ergrauen lässt, Neugierde zum Sterben bringt und Enthusiasmus im Keim erstickt. Er lernt dort was er nicht lernen will. Was er eigentlich auch nicht lernen muss. Er lernt, um des Lernens willen. Als Ausführung eines Befehls. Er hört die keifende Stimme vor der Tafel stehend seinen Namen schreien. Der schrille Klang lechzt nach dem letzten Rest seiner Energie. Schüler hindern ihm aus Spaß am Gehen durch die engen kahlen Gänge. Stoßen ihn um, bringen ihn zum wanken und scherzen über ihn. Das Alles als Ausruf ihrer eigenen Verzweiflung. Und so fängt der Morgen mit dem stechenden Ton des Weckers an, der sogar die Vögel, draußen fröhlich zwitschernd zum Verstummen bringt. Er schreitet voran in einer einzigen Bewegung, ohne Rast, ohne Pause. Keine Zeit für Erholung oder für glückliche Minuten. Doch dann, nach stundenlanger Tortur ist er endlich befreit und hechtet mit letzter Kraft durch den Türrahmen des wohligen Heims. Düfte nach Zimt & Honig schleichen liebkosend durch seine Nase. Die Wärme des Holzofens legt sich wie ein Wollmantel in kalter Winternacht um seinen Körper und bittet ihn warm und neu beseelt hinein. Er ist endlich angekommen und darf vergessen, darf verdrängen.
Manchmal kommt er gut mit all den Fremdeindrücken zurecht und kann sie ausblenden, sich mit ihnen beschäftigen und somit selbst aus dem Unsinnigen, aus der reinen Willkür einen vielleicht fruchtenden Gedanken ziehen. Doch manchmal ist ihm alles zu viel und er will weg. Weg aus einer Welt, die im zu klein geworden ist. Zu klein, um den ganzen Ballast seiner Seele verstauen zu können. Dann wird er zum Taucher und ergreift die Flucht. Nach der Flucht kommt jedoch keinesfalls ein Versteck das mit Reue oder Schuldbewusstsein gepaart ist. Nach der Flucht kommt kein Reservat der Verzweiflung, welches nur in vollkommener Not besucht werden kann. Nein Flucht gibt es für ihn nicht, da Flucht mit etwas Negativem verbunden ist. Ich gehe hinfort, ich verlasse, ich verstecke mich. Für ihn gibt es nur das Reisen. Ich gehe hin, ich besuche, ich entdecke.
Der Liebesbrief
Und so taucht er ein in fremde Welten. Wunderschön beschrieben mit Freunden, Abenteuern und neuen Erfahrungen. Er taucht ein in den lebhaften Kopf einer anderen Person und entdeckt mit ihm gemeinsam so sein Wunderreich. Und dies… ist das Lesen, welches er nie wieder von seiner Seite missen möchte. Egal wie sehr er altert, egal wieviel er erlebt. Er will immer mehr. So besucht er alte Freunde und lernt neue kennen. Erfährt Neues aus fremder Welt, reiche Gedanken die seine Seele bereichern und sein Herz zum Aufschreien bringt. Und daher dieser Liebesbrief ans Lesen, welcher sogleich ein Liebesbrief an all die schönen Köpfe ist, die mit Herzblut und Tinte Welten aufs Papier zu bringen vermögen. Verheiratet mit der Schrift und der paradoxen Einsamkeit. Paradox daher, da sie niemals ganz alleine sind, wenn sie mal wieder Schlachten zum Sprechen, Emotionen zum Bersten und Horizonte zum Überlaufen bringen. Und dennoch sitzen sie in ihrem kleinen Arbeitszimmer, auf einer durch Blumen beschmückten Wiese oder im duftenden Café in Paris und bewegen sich Stil in gedankliche Rage. Ganz heimlich und nur für sich, während die Welt sich draußen weiterbewegt als wäre nie etwas geschehen. Und doch passieren Wunder, Abenteuer und Explosionen geballter Verstandeskraft im Moment des Schreibens. An all die soll dieser Liebesbrief gewidmet sein.
In Büchern finden wir die Eindrücke, die uns im „echten“ Leben bisher verborgen blieben. Wir finden dort schwarze Ziffern auf weißem Papier, die mit unserer Auseinandersetzung mit ihnen eine Wirkung in uns entfalten können, die selbstredend unglaublich jedoch auch enorm individuell ist. So liest jede wie er auch wahrnimmt, mit seiner ganz eigenen Sicht auf die Welt und das Leben. Jede Erfahrung, die wir gemacht haben beeinflusst das geschriebene Wort aufs Höchste und so kann das eine im Rezipienten, dem Leser eine Woge an Feuer hinterlassen, die sich tief in sein Herz einbrennt oder so kalt bleiben wie der eisige Wind, der durchs offene Fenster zu kommen droht.
Wir lesen um zu leben, wir lesen um zu lieben. Wir tauchen ein in einen von Magie bestückten Ort, der zu einer zweiten Heimat werden kann. Zu einem Zuhause voller Charaktere, die sich in die Grundfeste unseres Herzens einbrennen und dort auf ewig verbleiben. Freunde und Feinde, Menschen zum beneiden, aufschauen, aber auch zum bemitleiden, die wir nie wieder missen wollen. Es sind Momente mit einem zutiefst faszinierenden Zauber, die uns immer wieder aufs Neue Leben einhauchen und aufzeigen was sein könnte und was vielleicht sein wird. Und so die Frage an jeden begeisternden Leser.
Ist es nicht erstaunlich, wie lieb und wertvoll uns diese Figuren werden können? Ist es nicht wunderschön, in der Fiktion Realität zu finden? Ein Ort, an dem wir lachen, weinen und nachdenken können. Unser kleines Geheimnis, welches nur für uns geschrieben worden zu sein scheint?
Und so möchte ich meinen Liebesbrief mit einem Dank abschließen. Mit einem Dank an all die Helden, die in Buchstaben zum Leben erweckt wurden. An all die Wegweiser, die uns zeigen wie man lebt und was das Leben ist und es uns auch weiterhin zeigen werden. An all die mutigen Partner, die sich hinaus getraut haben und uns aus ihrer Welt berichten. Heim gewähren und uns als Freund aufnehmen.
Und einen großen Dank an diejenigen, die diese Welt von Tag zu Tag aufs Neue erweitern. Die mit Fantasie, Kreativität, lyrischer Brillanz und einem riesigen Herzen ausgestattet Wunderwerke errichten die für die Ewigkeiten gedacht sind. Und wenn sie manchmal auch nicht mehr atmen, leben sie doch immerzu hinfort in unserer Seele. Dafür sei gedankt.
Je mehr ich las, umso näher brachten die Bücher mir die Welt, um so heller und bedeutsamer wurde für mich das Leben.
Maxim Gorki
hey mathis ! beim lesen des ersten absatzes fühlte ich mich sehr an meine schulzeit erinnert ,zurückversetzt in die fünfte,sechste klasse auf fsg.da konnte ich (genau wie der junge in deiner geschichte) es kaum erwarten endlich den GONG zu hören der das ende des unterrichts für diesen tag und den start für die wirklich schönen SEITEN des lebens einläutete: in meinem fall zu dieser zeit ,karl may
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