Das Sozialkreditsystem

Wir schreiben das fiktive Jahr 1984. Auf allen Plakaten flackert das Licht des großen Bruders. Die Parteimitglieder Ozeaniens werden dank Teleschirmen von der Gedankenpolizei kontrolliert. Kinder werden früh dem familiären Einfluss und in der Jugendorganisation der Spitzel zu Denunzianten erzogen. Die Geschichte wird zu Gunsten des großen Bruders verändert und die, die nicht mitmachen. Werden öffentlich hingerichtet. Der Roman „1984“, der 1948 von George Orwell erschien schildert die düstere Vision eines totalitären Überwachungsstaats. Heutzutage ist uns vor allem ein Satz im Kopf hängen geblieben. „Big Brother ist watching YOU“

Was damals als schreckliche Dystopie galt, wird heute von vielen nahezu unterbewusst beigesehnt und in manchen Ländern bereits tadellos umgesetzt. In diesem Beitrag geht es um das Szenario Überwachungsstaat, in dem wir uns bereits mit einem Fuß befinden. Dabei spreche ich die Situation in China an, zeige warum selbst wir in Deutschland von einem Überwachungsstaat nicht so weit entfernt sind, wie wir es vielleicht meinen, außerdem stelle ich anhand von Umfragen und bereits gestellten Meinung dar, dass viele sich so ein Szenario quasi erhoffen. Zudem fasse ich eine Folge der Serie „Black Mirror“ zusammen, welche auf meisterhafte Art dieses absonderliche System darstellt und gebe eine Aussicht auf die Zukunft.

Das orwellsche China

Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!

Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!

Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!

George Orwells Buch 1984 hat offensichtlich so sehr polarisiert, dass gewisse Länder sich davon sehr inspirieren lassen haben.

Die chinesische Regierung baut derzeit ein System auf, welches das Verhalten seiner Bewohner in allen Lebensbereichen bewerten soll. 2020 soll das Überwachungssystem zur Pflicht für etwa 1,4 Milliarden Bürger des ganzen Landes werden.

Das Grundsystem sieht folgender Maßen aus. Jeder Bürger hat am Start eine Punktzahl von 1000. Je nach finanziellem, politischem oder sozialem Verhalten können sie Punkte hinzuverdienen oder abgezogen bekommen. Beispielsweise belohnt wird wohltätige Arbeit, Geldspenden, eine pünktliche Rückzahlung der Schulden, das Helfen der Armen und Schwachen oder auch positive Einträge in sozialen Medien. Die Belohnungen für eine hohe Punktzahl sind unter anderem eine schnellere Bearbeitung in Behörden, erleichterte Kreditaufnahmen, Begünstigungen in Auswahlverfahren oder mehr Zuschüsse im Beruf, sowie mehr Urlaubstage.

Besonders vorbildliche Bürger werden auf der „roten Liste“ öffentlich ausgezeichnet. Wie hier in Rongcheng.

Menschen mit wenig Punkten werden wiederum auf die schwarze Liste gesetzt. Durch Schuldenanhäufungen, Teilnahmen an Demonstrationen, sich kritisch äußert oder bei Rot über eine Ampel läuft muss mit vielen Sanktionen rechnen. Sie haben den Nachzug bei Auswahlverwahren, müssen höhe Versicherungssummen zahlen, werden in Hotel- oder Mietwagenbuchungen benachteiligt oder werden zum Kauf von Flug- oder Zugtickets blockiert.

Das Sozialkreditsystem wird aus vielen vorhandene Quellen genährt und soll durch eine künstliche Intelligenz errechnet werden. Viele der Daten werden automatisch erfasst, beispielsweise durch Kameras, Schulzeugnisse oder den Social Media Account. Die Gesichtserkennung macht es Verkehrssündern beispielsweise fast unmöglich unentdeckt zu bleiben. Die App „Ehrliches Shanghai“ dient per exemplum in Shanghai als App der Stadtregierung zur Einsicht in das Verhalten der Menschen. Seit 2016 können die Bürger und Bürgerinnen der 26 Millionen- Stadt mit der Nummer ihres Ausweises sich im Programm registrieren.

Gibt uns das Sozialsystem!

Tatsächlich sind wir von einem Sozialkreditsystem gar nicht so weit entfernt. Der erste Schritt in diese Richtung waren soziale Medien wie Instagram oder Facebook. Menschen werden nicht an ihrem Charakter oder an ihren guten Taten bewertet, sondern an der Anzahl ihrer Follower und dem provokantesten Bild. Mit vielen Freunden wirst du automatisch als besser eingestuft, welches viele Vorteile bringen kann. Deshalb wundert die Tatsache nicht, dass vor allem junge Menschen ein Sozialkreditsystem sympathisieren oder zumindest nicht ausschließen würden. Umfragen zufolge liegt die Zustimmung für das System bei den unter 18- bis 30-Jährigen bei 23 Prozent. Jeder fünfte hätte also gerne so ein System

Ein System, welches jeden einzelnen getätigten Schritt bewertet und den Menschen überhaupt keine Wahl mehr über Gut und Schlecht lässt. Natürlich ist es nicht schlecht, wenn Ampeln nur noch bei Grün überquert werden oder Kredite pünktlich zurückgezahlt werden. Doch unsere Freiheit wird dadurch vollkommen aufgelöst. Mehr noch, als sie es bereits ist. Wenn freie Meinungsäußerung und kritisches Denken bestraft wird, wo führt das Ganze dann hin?

[Art 5. (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.]

Das deutsche Grundgesetz hat ganz klar verankert, wie es um die Meinungsfreiheit steht.  Mit dem Social-Scoring wird diese jedoch erheblich eingeschränkt.

Das Sozialkreditsystem ist keine Innovation für friedvollen Staat. Es ist mehr als Automatisierungsvorgang für den Totalitarismus zu betrachten. Es führt zu einer völligen Unterwerfung unter die Vorstellung und Vorgaben von Staat und Gesellschaft. Wenn ein Klassenunterschied durch das Anpassen an den Staat entsteht und strikte Folgsamkeit belohnt wird, ist die Freiheit bedroht.

Zum Abschluss fasse ich noch die Geschichte der Black Mirror Folge „Abgestürzt“ (engl. Nosedive) zusammen, da sie anschaulich zeigt, in welchen Wegen dieses System ausarten kann.

Abgestürzt

In dieser Geschichte geht es um die Frau Lacie Pound, die in einer Welt lebt, in der die Popularität über eine App bewertet wertet wird. Da es ihr sehr wichtig ist, was andere von ihr denken setzt sie wie die meisten Menschen in dieser Welt eine Maske der Zufriedenheit und Freundlichkeit auf, um einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Sie probt ihr „authentisches“ Lächeln am Spiegel, hält objektiven Small- Talk mit einer offensichtlich unsympathischen Frau, Postet ein Bild eines Kaffees mit einem Keks in der Form eines Smileys oder knüpft den erneuten Kontakt zu einer ehemaligen „Freundin“, die allerdings in ihrer Kindheit immer gemein zu ihr war. Mit einer Bewertung von 4,2 von 5 ist sie zwar im oberen Mittelfeld, allerdings reicht es nicht auf, um besondere Boni zu erlangen. Für ihr digitales Traumhaus, welches außerhalb ihres Budgets liegt bracht sie eine Bewertung von 4,5, um diesen 20% Rabatt zu erlangen.

In der Welt des Sozialkreditsystems gibt es qualifizierte Social-Berater, die eine realistische Prognose in der Beliebtheitsskala machen und Tipps für mehr Wertschätzung und Charisma weitergeben. So will Lacie ihre Chance nutzen und durch angesehene „hohe Tiere der Beliebtheit“ aufsteigen. Es ergibt sich, dass ihre alte „Freundin Nay-Nay“ Hochzeit feiert und sie als Trauzeugen angefragt wurde. Die perfekte Möglichkeit um höhere Punkte zu erreichen.

So geht die Folge in eine Art Road-Trip über, in dem Lacie versucht die Hochzeit pünktlich zu erreichen. Mit Eskapaden am Flughafen, polizeilichem Punkteabzug auf Zeit, schlechteren Mietwagen aufgrund der Bewertung und immer weniger werdende Privilegien in der Gesellschaft fängt der Teufelskreis an und so verliert verkommt sie von einer 4,2 zu einer 1,4. Nun, mit dem vergleichbaren Social-Scores eines Verbrechers, erkennt sie wie schwachsinnig dieses System doch ist und dreht durch, wobei sie mit dem Ende der Folge endlich wieder wahre authentische Freude empfinden kann und darf, während sie mit einem anderen „gesellschaftlich Abgedrifteten“ ein Streitgefecht mit vielen kreativen Beleidigungen im Gefängnis führt.

Fazit:

Diese Folge, und generell das logische Nachdenken über ein Sozialkreditsystem zeigt auf, wie schrecklich solch eine Welt wäre. Zumindest für mich, wobei ich denke, dass sich viele dieser Meinung anschließen können.

Eine Welt, die von unauthentischer Phrasenschwingung, halbherzig gemeinten Floskeln, scheinheiliger Freundlichkeit, erlogene Wahrheiten und falscher Freude dominiert wird, ist keine Welt oder besser gesagt Gesellschaft, die sich in irgendeiner Weise noch positiv nenne kann. Authentizität und Ehrlichkeit sind zwei der wichtigsten Güter die wir als Menschen besitzen und sollten bewahrt werden. Wir sind mit einem Fuß schon im Grab der Scheinheiligkeit. Mit bearbeiteten Bildern auf Instagram, künstlich hergerichteten Essensposts auf Facebook und einer passiven, interessenloser Kommunikation, die auf Objektivität aufgebaut ist sind wir in unserer heutigen Gesellschaft häufig bereits in so einem sozialen Bewertungssystem. Wir können von Glück reden, dass die Politik bisher nur bedingt Vor- und Nachteile für höher angesehene Menschen zulässt und ein modernes 1984 wenigstens hier in Deutschland nur bei einem Fünftel der Bevölkerung befürwortet wird. Doch wenn Social Media weiterhin so beliebt bleibt (was es wird) und die Technik fortschrittlicher wird (was der Fall ist), dann ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht mal so gering, dass wir am Ende mit oder ohne Social Scoring in einem Wertesystem der Scheinheiligkeit ankommen werden.

Schöne Grüße einer (hochwahrscheinlichen) 1,8!

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